Schlachtung gravider Rinder: Umfang und Hintergründe

Handlungsfelder

  • Vermeidung der Tötung von Feten, Jungtieren und gesunden Tieren außer zur Schlachtung

In Deutschland sollen nach einer Schätzung der Bundestierärztekammer jährlich rund 180.000 gravide Rinder geschlachtet werden. Auch wenn diese Zahl zu hoch gegriffen sein sollte, stellt die Schlachtung trächtiger Tiere keinen Ausnahmefall dar und die Frage nach ethischen Aspekten des Tierschutzes tritt in den Vordergrund.

Bisher existieren nur wenig gesicherte Daten über den Umfang, in welchem gravide Rinder der Schlachtung zugeführt werden. Um einen besseren Überblick zu erhalten wurden mittels einer Literaturrecherche die bekannten Daten zusammengefasst und mögliche Ursachen analysiert.

Di Nicolo (2006) erhob Daten aus Deutschland, Belgien, Luxemburg und Italien zur Anzahl geschlachteter Rinder insgesamt, weiblicher Rinder insgesamt und tragender Tiere. Alle Schlachthöfe zusammen betrachtend waren 4,71 % der weiblichen Tiere tragend, einzeln betrachtend lag der Durchschnitt in Luxemburg bei 2,92 % und in Deutschland bei 4,94 % tragender Rinder. Im Jahr 2011 wurde von Rhien et al. eine weitere Studie an 53 deutschen Schlachtbetrieben durchgeführt. Vier der befragten Betriebe machten keine Angaben, in 43 % der Betriebe wurden keine trächtigen Tiere geschlachtet, in 49 % vereinzelt und in 8 % häufig tragende Tiere zur Schlachtung angeliefert. Im Durchschnitt wurden 9,6 % der Rinder tragend geschlachtet.

In der Schweiz wurde 2012 an einem Schlachthof alle weiblichen Rinder auf Trächtigkeit untersucht und anhand der Steiß – Scheitel- Länge das Trächtigkeitsstadium ermittelt. 5,67 % der untersuchten Tiere befanden sich mindestens im 5. Trächtigkeitsmonat, davon 27,33 % sogar im letzten Drittel. Auch Di Nicolo fiel auf, dass sich ein erheblicher Anteil der graviden Rinder (Luxemburg 25 %, Italien 15 %, Deutschland 46 %) im fortgeschrittenem Trächtigkeitsstadium befanden, am häufigsten jedoch im 5. Trächtigkeitsmonat. Gründe dafür werden vermutet in seuchenhygienischen Hintergründen, die zu einer Bestandssanierung mit Merzung führen, in ökonomischen Gründen, in bewusster Besamung zur Wachstumsförderung, in Managementfehlern oder in Krankheitsproblemen. Besonders eine unerkannte Trächtigkeit im 5. Trächtigkeitsmonat führt oft zur Schlachtung gravider Rinder. Ursachen dafür können neben Haltung gemischt geschlechtlicher Herden auch das Absenken der Frucht im 5./6. Trächtigkeitsmonat und die darauffolgende Fehldiagnose „nicht tragend“ sein. Desweiteren zeigen tragende Rinder zu diesem Zeitpunkt häufiger Anzeichen eines Östrus, die ohne fundierte Trächtigkeitsuntersuchung ebenfalls zu einer Fehldiagnose führen.

Die bisher durchgeführten Untersuchungen zum Umfang gravider Schlachtrinder widerlegen die Annahme, dass es sich dabei um ein Einzelphänomen handelt. Die genannte Anzahl von jährlich 180.000 Tieren ist jedoch zu hoch gegriffen. Der Anteil liegt bei 4 – 6 % mit einer sehr großen Variation zwischen einzelnen Schlachthöfen. Ca. 1 % der Tiere befindet sich im letzten Trächtigkeitsdrittel. Ob die Föten durch den Schlachtprozess Schmerzen und Leiden ausgesetzt sind scheint fraglich (Mellor et al. 2007). Für das Muttertier stellen Transport und Schlachtung in diesem Zustand jedoch eine unzumutbare Belastung dar. Neben einem Umdenken bei Tierhaltern, sollte auch vom Gesetzgeber der Transport und Schlachtung von Tieren im letzten Trächtigkeitsdrittel untersagt werden, wenn nicht zwingende Gründe dafür sprechen.

Forschungsnetzwerk NRW-Agrar